Nach einem Autounfall ist die gesamte Familie von Christian Kabuß auf den Drahtesel umgestiegen. Was zunächst nur als temporäre Lösung galt, wurde bald bestimmend für den Familienalltag.
Direkt neben dem Kirchhof in Altkalen befindet sich das Wohnhaus der Familie Kabuß. Es steht in einiger Entfernung zur Straße unter alten hochgewachsenen Bäumen. Wir fahren über eine recht lange Auffahrt, deren Kies uns in der Abendsonne rot entgegen leuchtet. Christian und seine Frau Adrienne erwarten uns an der Haustür und laden zum Kaffee ins Innere des alten Backsteingebäudes.
Christian ist bei uns auf dem Projekthof Karnitz kein Unbekannter. Der Künstler und Musiker veranstaltet regelmäßig Klang-und Kunstworkshops – zum Beispiel während der Internationalen Sommeruni und hat auch schon einige Male seine Malereien auf dem Hof ausgestellt – sogar in den Wald haben wir schon große Staffeleien mit ihm gehievt. Weil wir ihn kennen, wissen wir auch, dass er mit seiner Familie immer mit dem Fahrrad unterwegs ist. Heute wollen wir von ihm wissen was ihn dazu motiviert und wie das im Alltag mit den beiden Kindern funktioniert.
“Als wir hergekommen sind, hatten wir keine Ahnung von der schwierigen Situation des öffentlichen Nahverkehrs in den ländlichen Gegenden.”
Drinnen sitzen wir in der großzügigen Küche des Hauses. Es gibt viel Platz und offenen Raum. Christian erzählt, dass es gar nicht geplant war, autofrei zu sein. Doch als sie mit ihren Kindern vor neun Jahren nach Altkalen gezogen sind, waren sie in der Stadt –bereits seit einem Jahr ohne Auto ausgekommen. Anlass für den Autoverzicht war ein schwerer Unfall danach hat es die Familie einfach nicht mehr ersetzt. Das funktionierte gut und wurde später zum Prinzip. Bis heute ist die Familie autofrei.
Als sie noch in Berlin gewohnt haben, war der Fahrradschwund groß. Die Fahrräder wurden oft geklaut, meistens schon bevor sie überhaupt repariert werden mussten. “Die große Schrauberei ging erst hier los.”erzählt uns Christian. Dass er selbst an den Fahrrädern zu schrauben begann, war wie der Autoverzicht an äußere Umstände gebunden. “Als wir ankamen hatte der Fahrradladen gerade dicht gemacht.” erzählt er. Einige Reparaturen übernahm der örtliche Mopedschrauber, aber nicht alle.
“Bestimmte Reparaturen haben sich für den Mopedschrauber halt nicht gelohnt, die waren einfach zu aufwendig.” Ein Grund mehr, sich intensiver mit der Mechanik von Zweirädern auseinanderzusetzen. Fahrräder neu zu kaufen, kommt für ihn und seine Künstlerfamilie auch auch aus finanziellen Gründen nicht in die Tüte.
Christians Sohn Baldo lobt seinen Vater. Baldos Fahrrad hat bei einer mehrtägigen Radtour nicht nur gut durchgehalten. Die Qualität der selbstgebauten Fahrräder stand den neu gekauften Fahrrädern seiner Freunde in nichts nach. Und sie waren schneller.
Den ersten Anstrengungen zum Trotz ist auch Adrienne zur Fahrradfahrerin geworden. “Ich hab vorher keinen Sport gemacht und bin zum letzten Mal als Kind wirklich viel Fahrrad gefahren.” erzählt sie uns. Es sei eher Christian gewesen, der von Anfang an viel gefahren ist und trainierte Beine habe. Für das Durchhaltevermögen macht sie entsprechend ihren Mann verantwortlich, der schon von Kindesbeinen an immer viel mit dem Rad unterwegs war. Seine Motivation hat die anderen Familienmitglieder überzeugt. Für sie sei es schon anstrengend gewesen ganz auf das Auto zu verzichten. Aber sie habe sich daran gewöhnt. “Meine Kreise werden immer etwas größer,” berichtet uns Adrienne und fügt etwas stolz hinzu, dass ihr Mann Christian nun an der Hinterradachse ihres Fahrrades ein kleineres Ritzel einbauen könne, weil sie wesentlich mehr Kraft habe als zuvor. Je kleiner das Ritzel desto schwerer tritt sich der Gang – aber es geht eben auch schneller voran.
Zur Not gibt es Freunde, die einspringen, wenn es ohne Auto nicht mehr geht.
Kein Auto zu haben ist auf dem Land durchaus eine Herausforderung. Wie kommen die Kinder zur Schule, wenn es keinen Bus gibt, wie zur Musikschule? Wie transportiert man Lebensmittel und die Waren des täglichen Bedarfs aus der nächsten Kleinstadt mit dem Fahrrad nach Hause?
Auf diese Frage, winkt Christian ab. Schließlich kann er es sich kaum vorstellen, dass jemand anderes auch so wenig Zeit mit dem Einkaufen verbringt wie er. Als die Kinder noch kleiner waren, haben sie den Wocheneinkauf genutzt, um zusammen eine Radtour mit Picknick zu machen. Es gab Zeiten, in denen es den beiden Erwachsenen terminlich nicht schafften, ihren traditionellen Fahrradausflug zur Musikschule durchzuhalten und den Busverkehr und die Transporthilfe von Freunden nutzten Aber nach einiger Zeit haben die Kinder eingefordert, doch wieder mit dem Fahrrad zu fahren – einfach auch, weil es eine schöne Zeit ist, die man zusammen erlebt.